Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt (Joh.1,14)

Die Not des Menschen fern von Gott
Im Advent erinnert uns die Kirche an die Not der Menschheit in der Sünde, die Erlösung braucht. Sie stellt uns das Israel des Alten Bundes vor Augen, das, obgleich von Gott erwählt, voll Sehnsucht auf den Messias, den Erlöser, wartet. Zugleich betet aber auch die Kirche selbst um das Wieder-Kommen unseres Erlösers, um die Vollendung Seines Erlösungswerkes, das Er bei Seinem ersten Kommen in diese Welt durch Sein Leben, Seinen Tod und Seine Auferstehung begonnen hat.
Die von Menschen bewusst oder unbewusst erfahrene „Gottesferne“, die auf verschiedene Art und Weise die Menschheitsepochen kennzeichnet, ist nach dem Glauben der Kirche und der Heiligen Schrift eine Folge der Sünde, in der sich schon die ersten Menschen von Gott abgewendet haben, wie uns das Alte Testament schon auf den ersten Seiten (Gen.3) lehrt, wo von der Vertreibung aus dem Paradies berichtet wird.
Wo ist Gott? Diese Frage stellen viele Menschen. Im Wirrwarr der Weltanschauungen und Religionen ist es für den Menschen nicht immer leicht, den Weg zu Gott zu finden und ein Leben in und aus der Wahrheit zu führen. Das ist nicht allein ein Problem unserer Tage, obgleich die Umstände heute sicher außergewöhnlich sind, weil auch fast überall ein Versagen von Christen und besonders auch von christlichen „Verantwortungsträgern“ Orientierung schwierig macht.
Die Heilige Schrift spricht auch davon, wie sich die Menschen nach der Abkehr vom wahren Gott als Ersatz immer ihre eigenen „Götzen“ erschaffen, die aber nur eine Erfindung und ein Mittel der Dämonen sind, um die Menschen zum Bösen zu verführen. Diese Schatten der Finsternis liegen so bis heute wie ein Fluch über der Menschheit.
In der von der Sünde bestimmten Welt kann der Mensch das Leben und die Liebe, die Wahrheit und das Licht, nach denen er sich eigentlich sehnt und die ihm wie die Erinnerung an das Paradies noch ins Herz eingeschrieben erscheinen, nicht mehr endgültig und dem Ideal entsprechend finden oder verwirklichen. Überall begegnet der Mensch seither dem Bösen und der Verderbnis.
Und selbst Christen, welche ja den Sieg über die Sünde feiern, den Christus durch Sein heiliges Leben und Sterben am Kreuz für die Menschheit wiedererlangt hat, stehen auch als Gotteskinder, die sie durch die Gnade in der Taufe wieder geworden sind, immer noch im Kampf der Bewährung. Christus hat zwar durch Seinen Sieg am Kreuz für uns die Tür zum Himmel wieder geöffnet, durch die wir in Glaube, Hoffnung und Liebe durch die Gnade Gottes eintreten dürfen, aber hier auf Erden sollen wir so bis zur Vollendung der Welt als Glieder Christi in Vereinigung mit Ihm „am eigenen Fleische“ erfüllen, „was am Leidensmaß Christi noch abzutragen ist“ (Kol.1,24).
Das Böse ist zwar hier auf der Erde durch den Sieg Christi gebrochen („Ich sah Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“, Lk.10,18). Aber auch wenn so ein neuer Weg in der Gnade und in der Gottesliebe für uns Menschen wieder möglich geworden ist, müssen wir in unserem eigenen Leben in der Nachfolge Christi und mit Seiner Hilfe noch den „Kampf mit den bösen Geistern in den Himmelshöhen“ (Eph.6,12) ausfechten und bestehen. Dabei stehen auch wir als Christen noch in der Gefahr, uns teilweise oder ganz wieder dem Bösen und damit irgendwelchen Ersatzgöttern zuzuwenden, und müssen deshalb immer wieder neu die notwendige Gewissenserforschung und auch Umkehr vollziehen und auch unsere eigenen Fehler und Mängel (in der Beichte) bekennen.
„Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium!“ (Mk.1,15), vernehmen wir deshalb gerade in der Vorbereitungszeit auf Weihnachten, das Fest der Ankunft Christi hier auf Erden, als Anruf Jesu Christi damals wie heute. Nachdem Johannes der Täufer mit dem Ruf zur Umkehr das Kommen des Erlösers vorbereitet hat, eröffnet auch Jesus Christus selbst mit dieser Predigt Sein Wirken in der Öffentlichkeit.
Dass hier die Frohbotschaft (Evangelium) zusammen mit der Bekehrung verkündet wird, zeigt, dass es bei der Frohbotschaft Jesu nicht um das Haschen nach Gefühlen oder um eine beliebige Hinwendung zu irgend einer bloß ausgedachten, ideologischen oder unhinterfragbaren „Glaubenslehre“ geht, sondern um einen wirklichen Aufbruch in der Liebe zur Wahrheit, der sich vor allem in der Umkehr von der Sünde zeigt und zeigen muss, wodurch sich der Mensch auf das Heilshandeln Gottes einlässt und somit ein wirklich neues Leben aus der Gnade und der Wahrheit möglich wird.
Der Ruf zur Umkehr gilt dabei nicht nur den Menschen damals, sondern auch uns, sofern wir uns durch unsere Werke von der Liebe Gottes abgewendet haben, die wir als Gnade in der Taufe empfangen haben. Es nützt nicht viel, über die Not der Zeit oder über andere zu klagen, wenn man nicht selbst beginnt, sein Leben mit der Hilfe Gottes zu heiligen! Die Hinwendung zur Wahrheit und zum Guten muss auch vom Christen immer wieder neu vollzogen und gewollt werden, so lange er sich noch hier in der Prüfung des Tränentales und im Kampf mit den Mächten des Bösen befindet.
Denn auch wir, die wir „die Erstlingsgabe des Heiligen Geistes bereits besitzen“ (Röm 8,23), lassen das Licht Christi in unserem Leben oft noch wenig leuchten oder verursachen vielleicht sogar durch unser böses Tun Ärgernis!
Der Anknüpfungspunkt: Die Möglichkeiten der natürlichen Vernunft
Doch wie soll sich der Mensch in einer gottfernen Welt bekehren? Wie soll er Gott wieder finden und Seinen Willen verstehen, wie den ersten Schritt gehen?
Wie Gott auch in der Nacht nach dem Untergang der Sonne immer noch größere oder kleinere Orientierungsmöglichkeiten schenkt und so den Menschen nicht völlig hilflos der Finsternis verfallen zurücklässt, so hat Er auch trotz des Verlustes des übernatürlichen Lichtes der Gnade und der Heiligkeit, den die Sünde verursacht hat, ihm dennoch ein gewisses Maß an natürlicher Erkenntnisfähigkeit belassen, die den Menschen als Ebenbild Gottes und als Vernunftwesen von Natur aus notwendig auszeichnet. Dadurch bleibt der Mensch für sein Tun auch ver-antwortlich.
Nach dem Sündenfall ist es zwar schwierig geworden, die Wahrheit deutlich zu erkennen und auch in die Tat umzusetzen. Doch als Vernunftwesen ist und bleibt der Mensch, ob er will oder nicht, immer auf die Wahrheit und das Gute bezogen, selbst wenn er sich das nicht immer klar macht. Er trägt so noch das Bild von Wahrheit, Güte und damit auch von Gott in sich, was ihn als Ebenbild Gottes erweist. Zwar kann er (wegen der Macht des Bösen und der Sünde) Güte und Wahrheit hier auf Erden immer nur in großer Unvollkommenheit erfahren und verwirklichen. Aber dennoch bleibt er ein von Gott mit Vernunft begabtes Geschöpf und kann so die Ebenbildlichkeit mit Seinem Schöpfer, dem Ursprung aller Wahrheit und allen Lichtes, nicht vollständig verlieren, aber auch nicht verleugnen.
Und so besitzt der Mensch grundsätzlich immer noch die Fähigkeit, „aus dem, was geschaffen ist“, mit seinem natürlichen Licht der Vernunft Gott und das Gute zu erkennen („Die heilige Mutter Kirche hält fest und lehrt, dass Gott, der Ursprung und das Ziel aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen gewiss erkannt werden kann“, 1.Vatikan. Konzil, DS 3004, vgl. Röm.1,20).
Diese Lehre der Kirche von einem Rest an Wahrheitsfähigkeit des Menschen wurde allerdings immer wieder durch Irrlehrer, auch durch die protestantischen Reformatoren mit ihrer Lehre der totalen Verderbnis des Menschen, in Frage gestellt. Damit wäre aber eine wirkliche Offenbarung und Erkenntnisfähigkeit des Menschen, aber auch eine Wiederherstellung der Gemeinschaft mit Gott nicht mehr möglich, was der Protestantismus auch lehrt. (Im protestantischen Angriff auf die Kirche ging es somit nicht nur um die vordergründigen Themen wie „Laienkelch“ oder „Pastoren-ehe“, wie es oft dargestellt wird, sondern um eine grundlegende Verfälschung und negative Verzerrung des christlichen Bildes von Gott und dem Menschen, gegen die sich die wahre, an Christus und am Evangelium festhaltende Kirche zur Wehr setzen musste!)
Auch nichtchristliche Religionen wie der Islam leugnen allgemein eine wirkliche und wahre menschliche Möglichkeit der Erkenntnis Gottes und damit eine wahre Beziehungsfähigkeit zwischen Mensch und Gott! Gott bleibt der Vernunft des Menschen verborgen und fremd, letztlich nur der „ganz Andere“. (Auch im Christentum übersteigt Gott natürlich alles menschliche Begreifen, andererseits hat Er sich uns hingegen in Seinem Sohn Jesus Christus ganz konkret offenbart, ist uns also auch ganz nah gekommen! Er übersteigt zwar unseren Verstand, hat sich aber gerade so auch uns vollkommen und erkennbar gezeigt, so dass wahre Gemeinschaft und Liebe möglich wurden!)
Eine negative Anschauung in Bezug auf die Vernunft des Menschen und damit auch auf seine Beziehung zu Gott vertritt übrigens auch der Modernismus, indem er die Verbindung der „religiösen Wahrheiten“ zur Vernunft leugnet, womit er „Religion“ zur einer willkürlichen „Weltanschauung“ macht, für die es letztlich keinen Erweis der Wahrheit gibt und für die es sich dann so gesehen auch nicht mehr lohnt, sie gegen andere Weltanschauungen zu verteidigen.
Die Leugnung der Erkenntnismöglichkeit Gottes führt Menschen und Gesellschaften in der Regel entweder in den Nihilismus, in dem jeder Sinn und Wert bestritten wird, oder in einen innerweltlichen „Totalitarismus“, der an die Stelle der Gottesverehrung menschliche Ideologien setzt und ihnen gegenüber absoluten Gehorsam fordert, wobei Religion bestenfalls noch im privaten Rahmen und als blindes Ritual geduldet wird, als blinder Gehorsam gegenüber menschlichen Ideen. Oder die behauptete Blindheit des Menschen für Gott führt zur Forderung eines „absoluten Liberalismus“, in dem eine angeblich absolute und ungebundene „Freiheit“ gepredigt wird, die, losgelöst von Vernunft und Wahrheit, letztlich aber gerade die Erfahrung des Wertes wirklicher und bewusster Freiheit unmöglich macht. Endliche Freiheit wird damit nämlich (wie das Leben dann übrigens auch) ohne Bezug auf einen höheren Wert nur noch eine unfreiwillig aufgebürdete Last, die keinen positiven Wert mehr hat. Der Mensch, der ja keineswegs absolut ist, kann ohne Erkenntnis und Anerkennung von etwas absolut Wertvollem und Wahrem, für das er sich in Freiheit entscheiden kann, auch die Freiheit selbst dann nicht mehr als Wert erleben!
Die Bestimmung des Menschen in christlicher Sicht
Die Heilige Schrift lehrt uns aber, dass Gott den Menschen als Sein Ebenbild und damit eben auch als Vernunft und Freiheit erschaffen hat! Der Mensch ist in seiner (endlichen) Vernunft und (endlichen) Freiheit als Abbild und Gegenüber von Gott als der absoluten, unendlichen Liebe und Freiheit erschaffen und deshalb berufen, sich diesem absolut guten Willen Gottes und damit der höchsten und lebendigen Wahrheit zu öffnen, um in der Liebe Anteil an dieser Größe, Schönheit und Heiligkeit Gottes zu erlangen! Das ist die christliche Auffassung von der Bestimmung des Menschen, von seiner übernatürlichen Berufung und vom Himmel, dem Ziel, das Gott den Menschen gesetzt hat, das sich der Mensch aber durch die Sünde immer wieder verbaut und verbarrikadiert, und das er ohne die Gnade Gottes niemals erreichen könnte.
Wenn Gott dem Menschen trotzdem auch nach dem Sündenfall (und des damit verbundenen Verlustes der übernatürlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit) noch einen Rest an natürlicher Vernunft und damit ein Organ zur Erkenntnis von Wahrheit gelassen hat, dann zeigt das, dass Er den Menschen weiterhin liebt, dass Er ihn nicht aufgegeben hat, dass Er am Heil und an der Vollendung des Menschen in der Wahrheit und der Liebe weiter interessiert ist, dass Er den Menschen weiterhin zur Umkehr ruft und ihn von der Sünde erlösen will!
Das Christentum erinnert ganz klar daran, dass jeder Mensch als geistiges Wesen der Vernunft und damit auch der Wahrheit gegenüber eine Verpflichtung hat, was auch ohne übernatürliche Offenbarung auf natürlichem Weg erkennbar bleibt. Jeder Mensch muss ja über den Wert oder Unwert des Lebens oder anderer Dinge nachdenken und tagtäglich vor dem Hintergrund von Wahr und Falsch auch urteilen.
Der Mensch als Ebenbild Gottes
Dass der Mensch ein Fehlen von Wahrheit oder von Wert überhaupt als störend oder Last empfindet, zeigt, dass er ein Ur-Bild von Wahrheit und Güte in sich trägt, das ihm mit dem subjektiven und relativen Wertempfinden auch einen absoluten und objektiven Wert offenbart, durch den erst die mehr oder weniger große Wertfülle der relativen, also auf einen absoluten Wert bezogenen (und von ihm abhängigen) Werte erkennbar wird. Reichtum, Gesundheit, langes Leben usw. sind beispielsweise nur dann bleibend wertvoll, wenn sie der Verwirklichung des Guten dienen, als Mittel zur Verwirklichung eines höheren, absoluten Wertes, beispielsweise für Taten der wahren Liebe!
Das ganze Leben ist deswegen immer ein Fragen nach Sinn, weil der Mensch die Offenbarung eines „Solls“, also des Guten und der Wahrheit, in sich trägt. Der Mensch kann beurteilen, ob das Leben oder die Welt relativ sinnvoll oder wertvoll sind. Die Vernunft verweist ihn dabei – sogar und gerade auch bei einer gefühlten Sinnlosigkeit oder Wider-Sinnigkeit einer Gegebenheit - auf das absolut Wertvolle, auf eine absolute Wahrheit, die er als natürliche Offenbarung in sich trägt und die ihn christlich gesprochen als Ebenbild Gottes erweist, der ein Wissen des absolut Guten und Wertvollen in sein Herz (Gewissen) gelegt hat.
Gott offenbart sich also dem Menschen nicht nur in dem „was gemacht“ ist um ihn herum, sondern vor allem auch in dem, was Gott im Menschen selbst erschaffen hat: In seinem Gewissen, dem Wissen um die Absolutheit der Wahrheit und der Erkenntnis des Guten, das aus sich immer hell ist. Worauf auch Paulus im Römerbrief hinweist: „Lässt sich doch Sein (Gottes) unsichtbares Wesen seit Erschaffung der Welt durch Seine Werke mit dem Auge des Geistes wahrnehmen: Seine ewige Macht wie Seine Göttlichkeit“ (Röm.1,20 ). „Wenn die Heiden, die das Gesetz nicht haben, aus natürlichem Antrieb die Forderungen des Gesetzes erfüllen, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, dass der Kern des Gesetzes in ihr Herz geschrieben ist. Ihr Gewissen bezeugt es ihnen und die Gedanken, die einander anklagen oder verteidigen“ (Röm.2,14f.).
Auch viele Theologen und Heilige haben diesen Gedanken aufgegriffen. Der Mensch trägt ein inneres Wissen um das Absolute, um die Güte und die Wahrheit und damit um Gott in sich, das als Urgrund aller (endlichen) Vernunft aufleuchtet, bevor er überhaupt danach suchen kann.
Der heilige Augustinus bringt bei der Beschreibung seiner Suche nach Gott das Beispiel einer Frau, die einen verlorenen Groschen sucht. Er schreibt: „Jenes Weib verlor ihren Groschen und suchte ihn mit der Leuchte; wäre er ihr nicht im Gedächtnis gewesen, so hätte sie ihn nicht gefunden. Und hätte sie ihn gefunden, so hätte sie nicht gewusst, dass er es war. Auch ich suchte und fand schon viel Verlorenes. Als man mir, dem Suchenden, Verschiedenes mit der Frage zeigte: ist es das? verneinte ich es, bis ich gefunden hatte, was ich suchte. Hätte ich mich seiner nicht erinnert, so hätte ich es, selbst wenn man mir es gezeigt hätte, nicht gefunden, denn ich hätte es ja nicht erkannt“ (hl. Aurelius Augustinus, Bekenntnisse, 10. Buch, XVIII).
Bei so rein „zufälligen“ Dingen kann man natürlich auch nach etwas suchen, was man noch nicht kennt oder weiß, die Frau hätte ja auch noch nachschauen können, ob noch andere Geldstücke herumliegen. Bei der Frage nach Erkenntnis oder Wahrheit aber muss ich immer schon erkannt haben, was Erkenntnis und Wahrheit an sich sind. Ich habe hier schon ein Wissen von dem, was „Wissen“ ist, und damit einen Bezug zur Absolutheit und zur Wahrheit selbst!
Auch die Suche nach Gott, dem absolut Guten und Wahren, dem Vollkommenen, offenbart schon Erkenntnis, ja ist schon Erkenntnis! So kann und soll auch jemand, der Gott sucht, schon beten, dass er, was er als Sehnsucht und erkannte Wahrheit schon in sich trägt, noch deutlicher und in voller Klarheit der Vernunft erkennen möge!
Die Notwendigkeit nicht nur der natürlichen, sondern auch der übernatürlichen Offenbarung und Gnade Gottes
Trotzdem bliebe der Mensch in seiner natürlichen Vernunft arm und ein Gefangener der Sünde, wenn ihm Gott nicht durch Seine Gnade entgegenkommen würde. Diese Erkenntnis ist das Thema des Advents, in dem uns die Kirche das sehnsüchtige Gebet des alten Gottesvolkes Israel um das Kommen eines Erlösers und der Erlösung vor Augen stellt und im Hinblick auf die Wiederkunft Christi und die Vollendung der Welt in der Gnade sich diesem Gebet und dieser Sehnsucht verbindet.
Nach christlicher Auffassung braucht der Mensch schon für diese erste Bemühung um das Gute Gottes Gnade. Es ist Gottes Liebe, die den Menschen, der sich durch eigenes Tun nicht wieder aus dem Sumpf der Sünde herausziehen könnte, zur Umkehr und zum Heil ruft! Ohne das Licht und die Kraft Seiner Gnade, die Gott aber in Seiner Güte jedem Menschen, der bereit ist, im notwendigen Ausmaß gibt (das ist Glaubenslehre der katholischen Kirche: „Gott will, dass alle Menschen selig werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“, 1Tim.2,4), wäre der Mensch in der Sünde nicht fähig, den rechten Weg auch nur den ersten Schritt weit zu erkennen oder zu gehen!
Das Gottesvolk des Alten Bundes war zwar von Gott berufen und geführt, aber noch nicht vom Zustand der Sünde erlöst und damit auch noch nicht zur wahren Gotteskindschaft und zu einer wirklichen Vertrautheit mit dem Willen Gottes fähig.
Christus als unser Erlöser hat uns als Kinder des Neuen Bundes aus diesem Zustand der Sünde und der Gottesferne erlöst und uns durch Seine Gnade, die Er in Seinen Sakramenten schenkt, wieder zu wahren Gotteskindern gemacht! Das Reich Gottes, das in unseren Herzen („Das Reich Gottes ist in euch“, Lk.17,21) schon Wirklichkeit geworden ist, harrt andererseits aber noch der Vollendung, weil wir hier in dieser Welt immer noch dem Kampf mit dem Bösen ausgesetzt sind.
Auch wenn wir als Jünger Christi also schon das Angeld unserer Erlösung (vgl. Eph.1,14) durch Jesus Christus erhalten haben, bleibt so das ganze christliche Leben von einer adventlichen Stimmung des Wartens auf die Vollendung der Welt und auf die glorreiche Wiederkunft Christi erfüllt. In der Liebe Christi ist es kein verzweifeltes, sondern ein hoffnungsfrohes Warten, das nicht durch gottfernes Klagen, sondern durch die Gemeinschaft mit Christus geprägt ist und deshalb auch durch gute Werke die Schönheit und Vollendung des Gottesreiches sichtbar werden lässt!
„Niemand hat Gott je gesehen. Der Eingeborene, der Gott ist, der da ruht am Herzen des Vaters, Er hat Kunde gebracht!“ (Joh.1,18)
Das ist die Botschaft des Evangeliums, welche die Kirche besonders an Weihnachten feiert und verkündet! Wenn der Mensch um das Gute nur theoretisch wüsste, nie aber der lebendigen und absoluten Güte, Heiligkeit und Wahrheit Gottes begegnen und an ihr Anteil erhalten könnte, es würde ihm nicht viel nützen und er bliebe in seinen Sünden ewig fern von Gott! Er braucht die lebendige Begegnung mit Gott und Seine Gnade, die ihm aus dem Elend der Sünde heraushilft, ihn erhebt und wieder zum wahren und geisterfüllten Kinde Gottes macht!
Dazu ist der Sohn Gottes in der Welt erschienen! „Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Heilandes“, verkündet die Kirche in der zweiten Messe am Weihnachtstag durch die Lesung der Worte des heiligen Paulus an Titus (Tit.3,4). „Nicht wegen der Werke der Gerechtigkeit, die wir getan, sondern nach Seinem Erbarmen hat Er uns errettet durch das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geist“ (Tit.3,4f.).
Andere Religionen kennen Gott letztlich nicht, wir hingegen dürfen Gott und Seinem Innersten in Jesus Christus, der uns aus der Sünde errettet hat, nahekommen und an Seinem Leben in der Liebe des Heiligen Geistes teilhaben! Wahre Gotteserkenntnis ist nur in der übernatürlichen Offenbarung Jesu Christi im Heiligen Geist möglich. Ohne die wahre Offenbarung kann der Mensch nie wissen, wer Gott wirklich ist oder was genau Er will oder wie Er über eine bestimmte Situation „denkt“. So aber erfahren wir über das theoretische Wissen um die Vollkommenheit Gottes gerade auf eine praktische Anschauungsweise, was Gottes Liebe und Güte sind und wie weit Er bereit ist zu gehen (Sein stellvertretendes Leiden und Sterben), um uns Seine Liebe zu erweisen!
In Jesus Christus offenbart sich uns Gott, Er zeigt uns, wie wir handeln und denken sollen! Wir dürfen auf Ihn blicken und Ihm in Glaube, Hoffnung und Liebe nachfolgen. Durch Sein Erscheinen als Mensch nimmt Er uns an Sein Herz und ruft uns zu einer immer tieferen Erkenntnis und Gemeinschaft mit Ihm. In Jesus Christus erkennen wir Gottes Liebe und Gottes Plan für Seine Geschöpfe, die wir sind!
„Ihr wisst …, wie Jesus von Nazareth mit Heiligem Geist und mit Kraft gesalbt hat, wie Er umherzog, Wohltaten spendete und alle heilte, die vom Teufel geknechtet waren: denn Gott war mit Ihm …“, verkündet der heilige Petrus (Apg.10,37f.) im Haus des Heiden Kornelius, indem er seine Worte an die Erfahrung und an die Fassungskraft dieser Heiden anpasst. „Man hat Ihn aber ans Kreuzesholz geschlagen und getötet. Gott hat Ihn jedoch am dritten Tage auferweckt und Ihn sichtbar erscheinen lassen …, uns, die wir nach Seiner Auferstehung von den Toten mit Ihm gegessen und getrunken haben. Er hat uns den Auftrag erteilt, dem Volk zu predigen und zu bezeugen, dass Er der von Gott zum Richter über die Lebenden und die Toten bestimmt ist. Von Ihm bezeugen sämtliche Propheten, dass jeder, der an Ihn glaubt, durch Seinen Namen Vergebung der Sünden erlangt“ (Apg.10,39-43).
In den Evangelien wird deshalb nicht nur über Gott geschrieben und gesprochen, nein, in Jesus Christus tritt uns Gott selbst gegenüber, Er zeigt sich uns selbst und Er will, dass auch wir Ihm mit Hilfe Seiner Gnade entgegengehen!
Nicht umsonst ist die erwartungsvolle, aber auch dankbare Freude der Christenheit vor allem in der Advents- und Weihnachtszeit im frohen Geben und Mitteilen erkennbar, das auf die Vollendung des Gottesreiches hinweist und auf den Tag der Wiederkunft Christi vorbereitet, an dem Er zu den Seinen ja nach Seinen eigenen Worten sprechen wird: „Nehmt in Besitz das Reich … Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben, durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben, ich war fremd, und ihr habt mich beherbergt, nackt, und ihr habt mich bekleidet, ich war krank, und ihr habt mich besucht, ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen … Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt. 25,35ff.).
Das Evangelium ist die Frohe Botschaft vom Kommen Gottes selbst, von der Offenbarung Seiner Liebe in der Erscheinung Seines Sohnes. Er ruft uns, Er sucht die Gemeinschaft mit uns, Er will, dass auch wir wie Er lieben! Der Mensch ist nicht mehr fern von Gott, denn Gott selbst hat sich in Seiner Güte, Heiligkeit und Wahrheit hier auf Erden gezeigt und will sich auch uns mitteilen, mit Seiner Liebe und Heiligkeit auch unser Herz erneuern, unser Leben durchdringen und neu gestalten! Er hat uns durch Seine übernatürliche Gnade aus der Unvollkommenheit der durch die Sünde geschwächten natürlichen Möglichkeiten von Liebe und Erkenntnis, deren Mängel wir nie aus eigener Kraft hätten überwinden können, befreit und uns in Christus wieder ein Leben in Heiligkeit und Gerechtigkeit ermöglicht, zu dem Er den Menschen von Anfang an, vor dessen Sündenfall, berufen hatte!
Das Leben eines Christen ist deshalb ein neues Leben, ein Leben aus der Kraft der Liebe und Heiligkeit Gottes! Es ist ein Leben in der weihnachtlichen Freude an der Erscheinung Gottes als Mensch und Bruder unter uns, ein Leben des Glaubens und der Hingabe an die Wahrheit, die in der immer tieferen Erkenntnis der Liebe und Heiligkeit Gottes besteht und uns so auch mehr die Güte Seiner Schöpfung verstehen lässt und in sie einführt.
Es ist ein Leben in der Hoffnung auf das mit Christus unter uns erschienene übernatürliche Heil, das über die Trostlosigkeit einer in die Sünde versunkenen Welt hinausführt. Und es ist vor allem ein Leben der Liebe und der Gemeinschaft, weil Christus durch Sein Leben und Sterben hier auf Erden uns Seine Liebe gezeigt hat und uns an dieser Seiner Liebe Anteil nehmen lässt, so, dass wir sie in Seiner Gnade auch erwidern können.
Durch Seine Gnade können und dürfen wir so als wahre Gotteskinder wieder zur ursprünglichen Freude und Vollkommenheit, in der Gott Seine Schöpfung geschaffen hat, zurückfinden, auch wenn diese Vollkommenheit äußerlich in vielerlei Hinsicht hier auf Erden noch angefochten erscheint und wir hier auch noch Christus auf dem Kreuzweg nachzufolgen berufen sind, was uns aber in der Kraft Seiner Gnade nicht zum Schaden gereicht, sondern uns Gott immer näherbringt!
Dieses neue Leben in Glaube, Hoffnung und Liebe befähigt uns im Heiligen Geist, mit Maria und Joseph und den Hirten vor dem Kind in der Krippe in den Lobgesang der Engel auf den Fluren von Bethlehem einzustimmen und mit ihnen die Frohbotschaft vom Kommen Gottes zu verkünden und weiterzutragen mit den Worten: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden den Menschen guten Willens!“ (Lk.2,14).

Thomas Ehrenberger

 

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